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Erstes Gedicht nach dem Tod meines Vaters

 

Von der Landschaft

durch die ich hindurch fahre

wird nur das Wort Landschaft bleiben

 

der Tod meines Vaters

ist noch hunderte Kilometer entfernt

dennoch schon neun Tage alt

und nicht von dieser Welt

 

meine überflüssigen Bewegungen

Richtung Unendlichkeit sind verjährt

die Stille bleibt stehen

sie warf letzte Woche noch einen Schatten mehr

 

von all den Worten, die ich gesagt habe

während ich zu Boden ging

blieb mir der Vorname des Todes im Hals stecken

 

schlug Wurzeln und kommt nun in jedem Satz vor

das halbe Leben verschluckt sich selbst

 

wie lange dauert es nun

bis daraus ein Baum wächst

aus dem Mund, aus dem Gedächtnis

 

vielleicht genügt der längste Tag meines Lebens dafür

dass mein Kopf einmal in den Himmel reicht

und zurück

 

zurück in Raum und Zeit

 

der Zeitraum ist ein Wartezimmer im Fundbüro

 

wenn ich dich verliere, flüstere ich in die Vergangenheit

warte ich auf den Schmerz

des nächstgrößeren Dichters

 

auf meinen Schreibhandschuh morgen

lege ich alle Fingerabdrücke

die ich kriegen kann

 

 

 

„der Tod des Vaters ist die Wiedergeburt des Sohnes“ (Dinçer Güçyeter)

Ich sag es Ihnen

Diese Nachbarn stapeln sich wie abgefallene Fußnägel bis in den 5. Stock. Der Mann mit Schnauzbart, der unter mir wohnt, hat solchen Mundgeruch, dass jeden Monat eine Wohnung im Haus frei wird. Die Frau ohne Schnauzbart hat neben dem fehlenden Schnauzbart auch ein fehlendes Schamgefühl, sie putzt liebend gern nackt das Treppenhaus, obwohl ja jede Woche ein Reinigungsdienst kommt. Sie sagt dann immer, es ist ihr nicht sauber genug. Und die Frau mit dem Schnauzbart im Erdgeschoss hat einen Mann, der genauso aussieht wie sie, nur dass er keinen Schnauzbart hat. Einmal hab ich die beiden verwechselt, das gab ein Theater, das sag ich Ihnen. Ich konnte wochenlang das Haus weder verlassen noch betreten, ohne mich von den beiden als schlimmster Nachbar aller Zeiten beschimpfen lassen zu müssen. 

Kommt, ihr Töchter

helft mir klagen, im Welt-
all fällt das Licht aus
und eine Scheibe zerbricht

der eine Regen fällt
in den anderen
die nassen Menschen werden

nasser, die blassen Figuren 
werden umgeblättert
morgen operiert ein Landarzt

sein eigenes Herz
während ein Land verblutet
ein Autodidakt diktiert

uns in die Tagebücher
seinen Unfrieden
als Liebesbrief an Gott vorbei

© 2023 Herbert Hindringer
 

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